Von Schreibenden und Mitgemeinten: 5 Fragen zu inklusivem Schreiben

GendergerechtespracheEditb
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Als Texterin möchte ich gute Texte schreiben. Als Mensch möchte ich andere Menschen nicht ausgrenzen. Zwischen diesen  Sätzen muss kein «aber» stehen – denn inklusives Schreiben ist nur ungewohnt, nicht unmöglich.

Eigentlich schreibe ich nicht gerne über dieses Thema. Ich mag zwar das Unwort geschlechtergerechte Sprache (so kratzig, so deutsch!) aber dieses spezifische Fass immer wieder aufzumachen ist auch ganz schön anstrengend. Notwendig ist es trotzdem. Denn inklusive Schreibweisen sind im deutschsprachigen Raum noch viel zu selten anzutreffen. Und was wir nicht oft sehen, finden wir auf Anhieb etwas ungemütlich. Hier nun deshalb eine vereinfachte Einführung ins Thema. Von einer, die gerade selbst noch dazu lernt.

 

1. Wieso inklusive Sprache?

Liebe Leser – fühlt ihr euch schon angesprochen? Wenn ich hier Leser, Kunden oder Texter schreibe, meine ich nach den Regeln der deutschen Sprache die Leserinnen, Kundinnen, Texterinnen mit. Dieses 'Mitmeinen' spart Platz, hat Tradition, geht schnell – und ist für die Männer dieser Welt überhaupt kein Problem. Selbst für die Nicht-Männer dieser Welt ist es im Einzelfall nicht so schlimm. Die meisten Menschen, die ich kenne, lassen sich von einer missglückten Formulierung nicht gleich die Laune vermiesen (sonst müsste ich wahrscheinlich den Job wechseln).

Schwierig wird es dann, wenn Menschen systematisch nur immer mitgemeint und nicht direkt angesprochen werden. Dann wird aus einer fehlenden Silbe eine fehlende Berücksichtigung, eine fehlende Perspektive, eine fehlende Stimme im Diskurs.

Ich könnte tausend Beispiele dafür aufzählen, aber mein Lieblingsbeispiel ist ein Vorfall im Rahmen des Kampfs um das Schweizer Frauenstimmrecht. 1928 wendete sich Jurist und Frauenrechtler Léonard Jenni nämlich mit einer Petition an den Bundesrat und fand so: Der Begriff «Stimmbürger» in unserer Verfassung beinhaltet in der deutschen Sprache Menschen beider Geschlechter. Wieso also sollten die Frauen gerade in diesem Fall nicht mitgemeint sein?

Das war die Antwort des Bundesrats (haltet euch fest):

«Wenn man nun behauptet, dass der Begriff auch die Schweizer Frauen in sich schliessen sollte, so überschreitet man die Grenzen der zulässigen Interpretation […] Die Beschränkung des Stimmrechts auf die männlichen Schweizer Bürger ist ein fundamentaler Grundsatz des eidgenössischen öffentlichen Rechts.»

Grenzen der zulässigen Interpretation. Aha. Jetzt kann man natürlich sagen: Ja, aber das war 1928. Heute, fast hundert Jahre später, kann sowas doch nicht mehr passieren. Dafür habe ich nur drei Worte übrig: Appenzell Innerrhoden, 1991. Aber was ich an der Jenni-Anekdote besonders mag: Sie hat mir das bis anhin triftigste Argument gegen Sprachpurist:innen geliefert. Denn wenn wir uns vor einem Gendersternchen plötzlich mehr fürchten als davor, die Hälfte der Bevölkerung auszugrenzen, dann müssen wir dringend nochmals über die Bücher.

 

2. Warum eigentlich Sonderzeichen?

Wenn ich hier Leser und Leserinnen schreibe, habe ich einen wichtigen Schritt bereits gemacht: Ich habe Frauen direkt angesprochen. Das gilt übrigens auch für die Versionen LeserInnen und Leser/innen (aka Binnen-I und Schrägstrichvariante). Was ich nicht geschafft habe, ist, den Teil unserer Mitmenschen anzusprechen, der sich weder als Leser noch als Leserin versteht. Enter the Sonderzeichen! Das Gendersternchen in Leser*innen, der Gender-Gap in Leser_innen und der Gender-Doppelpunkt in Leser:innen machen genau das: Sie füllen die Lücke zwischen der männlichen und der weiblichen Schreibweise, damit sich auch nichtbinäre Menschen angesprochen fühlen.

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3. Sternchen, Gap oder Doppelpunkt?

Lassen wir mal vorneweg, wie gut oder schlecht bestimmte Sonderzeichen in einem Wort aussehen. Denn das ist nicht nur Geschmacksache, sondern auch völlig zweitrangig, wenn es uns um Menschen geht. Die wichtige Frage lautet: Welches Sonderzeichen ist das Richtige? Hier gibt es keine offizielle Regel, zumal der Duden noch keine der Optionen in die amtliche Rechtschreibung integriert hat.

Wir Sergeants mögen den Gender-Doppelpunkt, weil wir ihn sehr lesbar finden. Befürworter:innen sagen auch, der Doppelpunkt sei barrierefrei. Sie meinen damit, dass Screenreader für Menschen mit einer Sehbehinderung beim Doppelpunkt eine kleine Pause machen, statt ihn auszulesen. Ein Screenreader liest «Leser-Stern-innen» und «Leser-Schrägstrich-innen», macht aber beim Doppelpunkt nur eine kurze Pause zwischen «Leser» und «innen». Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband hält dem entgegen, dass nur paarige Bezeichnungen (Leser und Leserinnen) wirklich die Vorlesbarkeit gewährleisten.

Wichtig ist es, sich über die Pros und Kontras der verschiedenen Optionen ein Bild zu machen und die Debatte mitzuverfolgen, weil sich die Best Practice noch ändern kann. Sprache hat sich schon immer weiterentwickelt – manchmal geht es einfach ein bisschen länger.

 

4. Was ist mit neutralen Begriffen wie Leserschaft?

Lasst mich mal kurz mit Fachbegriffen um mich werfen: Sexusneutrale Begriffe wie Leserschaft, Kundschaft oder Mitarbeitende versuchen, die Geschlechtsbezüge ganz zu neutralisieren. Das mag manchmal etwas technisch klingen, ist aber auch platzsparend. Und wir sind ja nicht gegen das Platzsparen, nur gegen das Mitmeinen. Hingegen ist ein Argument für sexusbezogene Schreibweisen wie Mitarbeiter:innen und Leser:innen, dass sie verschiedene Gender (inkl. non-binäre Menschen) in der Kommunikation bewusst sichtbar machen.

Wir finden es grundsätzlich wichtig, Gender sichtbar zu machen. Wenn sich in einem Satz aber die Sonderzeichen häufen oder es sich um ein Wort handelt, dessen neutrale Variante gebräuchlich und bekannt ist, finden wir auch die Abwechslung ganz gut. Man könnte auch am Anfang eines Textes Gender sichtbar machen (Lehrer:innen) und in den weiteren Nennungen neutralisieren (Lehrkraft / Lehrperson). Zumal es leider noch nicht für jedes Wort eine bekannte neutrale Variante gibt.

Sprache ist ein lebendiges, wachsendes Ding, das wir zum grossen Entsetzen der Sprachpurist:innen nicht zum Stillstand zwingen können.

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5. Wann geht der Doppelpunkt nicht?

In Fällen, in denen die männliche Form verloren geht, sind die Sonderzeichen grammatikalisch nicht ganz korrekt. In Kund:innen fehlt etwa der Kunde, in Ärzt:innen der Arzt, in Bäuer:innen der Bauer. Menschen, die Landwirtschaft betreiben, sind nicht «Landwirtschaftende» und bei korrekter Grammatik auch nicht Bäuer:innen, sondern halt eben das: Menschen, die Landwirtschaft betreiben. 

Es gibt auch 2021 noch keine perfekte Lösung für das Problem. Aber es gibt inzwischen ein grösseres Bewusstsein dafür, dass es ein Problem ist. Und gute Lösungsansätze, von denen sich im Laufe der Zeit einer durchsetzen wird – da bin ich mir sicher. Ich weiss noch genau, wie empört ich 2006 als Zwölfjährige war, weil die neue Rechtschreibung Portmonee plötzlich als alternative Schreibweise zu Portemonnaie akzeptierte (wie sollte ich mir noch auf meine Aufsätze etwas einbilden können, wenn der Duden plötzlich jeden Schreibfehler aufnahm!) Im gleichen Jahr versuchte Google krampfhaft, die Verwendung des aufkommenden Verbs googeln (bzw. to google) zu verhindern, um die eigene Marke zu schützen. Schwer zu sagen, wer damals lächerlicher war, ich oder der Megakonzern. Denn eines steht fest: Sprache ist ein lebendiges, wachsendes Ding, das wir zum grossen Entsetzen der Sprachpurist:innen nicht zum Stillstand zwingen können.

Inklusiv zu schreiben ist vielleicht noch nicht immer einfach, aber immer einfacher. Es ist ein ständiges Abwägen der eigenen Prioritäten. Unsere sind: Wir wollen in unserem Sprachgebrauch niemanden diskriminieren. Der Duden darf sich verletzt fühlen, unsere Mitmenschen nicht.