Die neue digitale Realität: Warum Barrierefreiheit nicht mehr optional ist

Das Web ist ein ziemlich erstaunlicher Ort. Hier arbeiten, lernen, shoppen und vernetzen wir uns. Für die meisten von uns funktioniert es einfach. Aber was, wenn das nicht so wäre? Für Millionen von Menschen ist das Navigieren auf einer Website ein täglicher Kraftakt. Genau hier kommt die Barrierefreiheit ins Spiel. Sie sorgt schlicht dafür, dass die digitale Welt, die wir alle gemeinsam gestalten, auch für Menschen mit Behinderungen offen und leicht nutzbar ist.
Barrierefreiheit war schon immer eine gute Idee, doch in letzter Zeit ist sie noch wichtiger geworden. Es geht dabei um Fairness und es ist inzwischen auch ein wesentlicher Aspekt der Rechtslandschaft in Europa.
Ein positiver Anstoss: Neue digitale Standards
Derzeit gibt es eine Bewegung, die darauf abzielt, digitale Barrierefreiheit zu standardisieren. In der EU ist der European Accessibility Act (EAA) der wichtigste Treiber dafür. Das Ziel ist einfach: Es sollen klare Anforderungen an die Barrierefreiheit vieler Produkte und Dienstleistungen geschaffen werden. Ab Juni 2025 wird von zahlreichen privaten Unternehmen, insbesondere aus den Bereichen E-Commerce und Online-Dienstleistungen, erwartet, dass sie diese Standards erfüllen.
Die Schweiz befindet sich mit ihrer eigenen Gesetzgebung auf einem ähnlichen Weg. Das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) wird derzeit überarbeitet. Bis 2027 wird erwartet, dass auch dort mehr private Unternehmen dazu verpflichtet sein werden, barrierefreie Produkte und Dienstleistungen anzubieten.
Die Hauptidee ist, Barrierefreiheit zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Online-Geschäfts zu machen. Anstatt sie nur als strikte Vorschrift zu betrachten, sollte Barrierefreiheit als gemeinsames Ziel verstanden werden: das Web zu einem besseren und inklusiveren Ort für alle zu machen.

Was bedeutet «barrierefrei» eigentlich?
Wenn wir über die Details der Barrierefreiheit sprechen, beziehen wir uns in der Regel auf die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Diese bieten eine hilfreiche Checkliste mit einer gemeinsamen Sprache und klaren Zielen.
Die WCAG basieren auf vier Grundprinzipien.
Eine gute, hilfreiche Website ist:
- Wahrnehmbar: Kann jede und jeder die Inhalte sehen oder hören? Zum Beispiel: Wenn jemand ein Bild nicht sehen kann, gibt es dann einen hilfreichen Alternativtext (Alt-Text), den ein Screenreader vorlesen kann?
- Bedienbar: Kann jeder die Website nutzen? Das bedeutet, dass sie sich auch mit einer Tastatur bedienen lässt und Nutzer*innen genügend Zeit haben, um Inhalte zu lesen und damit zu interagieren.
- Verständlich: Ist die Website einfach zu verstehen? Eine gute Seite hat klare Anleitungen und ein intuitives Layout, bei dem klar ist, wo als Nächstes geklickt werden muss.
- Stabil: Funktioniert die Seite mit verschiedenen Geräten und Technologien? Das schliesst Assistenztechnologien ein, auf die Menschen beim Surfen angewiesen sind.
Es gibt definierte Konformitätsstufen zu diesen Richtlinien – von Level A (dem niedrigsten) bis Level AAA (dem höchsten). Die meisten Unternehmen streben Level AA an.

Wo wir heute stehen: More than meets the eye
Wo stehen wir also heute? Eine jährliche Studie von WebAIM, bei der eine Million Startseiten untersucht werden, vermittelt einen Eindruck vom aktuellen Stand. 2025 wiesen fast 95 % der Seiten irgendeine erkennbare Barriere auf. Im Durchschnitt enthielt eine Seite über 50 verschiedene Fehler.
Besonders aufschlussreich ist, wie weit verbreitet einige der grundlegendsten Probleme sind. Am häufigsten wurden folgende Probleme festgestellt:
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Text mit zu geringem Kontrast
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Fehlende beschreibende Texte für Bilder
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Leere Links oder Buttons
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Fehlende Beschriftungen von Formularfeldern
Nehmen wir das häufigste Problem, Text mit zu geringem Kontrast. Ein klassisches Beispiel dafür, wie sich das Design einer Marke direkt auf die Usability auswirken kann. Gehen kreatives Design und solides Development von Anfang an Hand in Hand, kann man sicherstellen, dass die Markenfarben für alle Nutzer*innen klar erkennbar sind.
Solche sichtbaren Probleme zu beheben, ist zwar ein guter Anfang, oft aber nur die Spitze des Eisbergs. Sie sind der Einstieg in die tiefere Arbeit, die nötig ist, um eine Website wirklich barrierefrei zu gestalten.
Deshalb ist ein gründlicher Ansatz so wichtig. Ganz gleich, ob eine neue Website erstellt oder eine bestehende verbessert werden soll: Barrierefreiheit zu berücksichtigen bedeutet, über die offensichtlichen Oberflächenprobleme hinauszuschauen. Es bedeutet, sicherzustellen, dass die gesamte Struktur – von oben bis unten – solide, funktional und einladend ist.
Barrierefreiheit einzubeziehen, schränkt die Kreativität nicht ein. Sie fordert uns vielmehr heraus, bessere Gestalter*innen zu sein. Sie ermutigt uns, Dinge zu schaffen, die nicht nur schön, sondern auch funktional sind und alle Nutzer*innen willkommen heissen. Das ist ein Gewinn für sie – und, ehrlich gesagt, auch für uns.